Prokrastination

Prokrastination als Traumafolge

Von Prokrastination spricht man, wenn unnötiges Herauszögern von Aufgaben oder Vermeiden von Entscheidungen chronisch auftreten. Der Begriff stammt vom lateinischen procrastinatio, was Aufschub oder Vertagung bedeutet. Zu den Ursachen des zwanghaften Aufschiebens zählen Angst vor Misserfolg, Überforderung, mangelnde Motivation oder Perfektionismus. Diese pathologische Störung ist nicht zu verwechseln mit der weit verbreiteten «Aufschieberitis», dem Trödeln bei unliebsamen Aufgaben. In diesem Beitrag behandle ich die Erscheinungsformen, Auslöser und Hilfestellung für Menschen, bei denen Prokrastination als Folge eines Traumas zutage tritt.

Die Auswirkungen von Prokrastination im Alltag

Durch extremes Aufschieben und bewusstes oder unbewusstes Hinauszögern von wichtigen Aufgaben sabotieren sich Betroffene selbst und reduzieren durch diese Verhaltensmuster ihren Selbstwert. Das Fertigstellen von Sachen ist für sie nur unter grossem Druck und Stress möglich. Statt die wichtigen Dinge endlich zu erledigen, vertun sie ihre Zeit mit belanglosen und ablenkenden Aktivitäten wie Wohnung putzen, Filme schauen, durch soziale Netzwerke scrollen, shoppen, im Internet surfen usw. Dieses Verhalten kann so weit führen, dass betroffene Menschen ihre Ausbildungen oder Projekte nicht zu Ende bringen können. 

Prokrastinieren kann drastische Konsequenzen haben. Im äussersten Fall bringen Menschen ihre Existenz in Gefahr, wenn sie notwendige Behördengänge nicht wahrnehmen, Fristen versäumen oder Entscheidungen endlos vor sich herschieben. Ihre Gesundheit wird beeinträchtigt, wenn sie einen unumgänglichen Zahnarztbesuch oder eine dringende ärztliche Behandlung zu lange hinauszögern. Wenn sich ihr Wohlergehen durch diese schädlichen Vermeidungen trübt, sinkt ihr Selbstwert entsprechend tiefer und tiefer.

Prokrastination ist ein dysfunktionales und destruktives Verhalten

Doch wieso erledigen Betroffene hauptsächlich nicht mehr die Dinge, die sie sollten – trotz vorhandener Fähigkeiten und Gelegenheiten? Weshalb nehmen sie eine Beeinträchtigung ihres psychischen Wohlbefindens oder sogar ernsthafte gesundheitliche, berufliche oder persönliche Konsequenzen in Kauf? Dieses Verhalten lässt sich nicht mit Faulheit oder fehlendem Willen erklären, sondern stellt ein ernsthaftes Problem der menschlichen Selbststeuerung dar.

Zu den bekannten Begleitsymptomen gehören Muskelverspannungen, Schlafstörungen, innerer Stress und innere Unruhe, Anspannung, Ohnmachtsgefühle, Hilflosigkeit, Schuldgefühle und Versagensangst, Selbstverurteilung, Unlust, Depression und Erschöpfung.

Abwertungen als Traumaauslöser

Das Traumafolgesymptom Prokrastination stammt aus Erlebnissen in der frühen Kindheit. Dort, wo sich das Kind vollumfänglich in der Abhängigkeit von Bezugspersonen bewegte und es auf deren Wohlwollen angewiesen war. In diesem Zeitraum erfahrene Abwertungen, Verurteilungen oder Beschämungen können zu Traumaauslösern werden. 

Unser Selbstbild beruht auf frühkindlichen Erfahrungen und ist tief verankert. Hast du als Kind öfters Sätze gehört wie «Du hast zwei linke Hände», «Du bringst nichts auf die Reihe», «Du bist echt doof» oder «Aus dir wird nie etwas»? Solche beschämenden Aussagen können beim Gekränkten zu einem verminderten Selbstwertgefühl führen. Und oft passiert es irgendwann, meist unbewusst, dass er anfängt, sich selbst zu verurteilen oder sich diese Abwertungen selbst zu sagen. Erstellt sich der Traumatisierte innere Selbstbilder von «nichts zu können», «nichts wert», «nicht gut genug» oder «unfähig» zu sein, identifiziert er sich mit dem Versager-Gen. Aus solchen nachteiligen Gedanken heraus entstehen Traumafolgestörungen und grosse Schwierigkeiten und der Selbststeuerung, sowie fehlende Selbstorganisation und Selbstregulation.

Aus Angst vor Misserfolg, Bestrafung, Beschämung, Verurteilung oder vor dem Verlassenwerden, verweigern sich Betroffene den Zugang zu ihrem Potenzial und ihren positiven Gefühlen. Solange sie das Selbstbild in sich tragen, dass für sie Erfolg nicht möglich ist, dass sie Anerkennung nicht verdient haben oder nicht wertgeschätzt werden möchten, können sie ihr Verhalten nicht ändern. Denn es fehlt ihnen die notwendige Struktur.

Lass uns die Ursache finden!

Wenn die erlebte Bindungserfahrung in der Kindheit unzuverlässig oder unberechenbar war, kann der Mensch keine innere Struktur entstehen lassen und kein Sicherheitsgefühl entwickeln. Wenn wir in der entscheidenden frühkindlichen Phase allein gelassen wurden, ist das Zeitgefühl schlecht ausgebildet. Für betroffene Erwachsene ist es daher schwierig, bei der täglichen Arbeit eine Zeitstruktur einzubringen. Diese innere Strukturschwäche, die sie prägend erhalten haben, wirkt sich auf ihren gesamten Alltag aus.

Als tief im Unterbewusstsein verwurzelte Wunde und Schmerz äussert sich die Ursache unseres aufschiebenden Verhaltens. Wir möchten innere Zustände oder Emotionen nicht spüren und flüchten uns mittels Vermeidungsstrategie davor. Um nicht in die Verletzung gehen zu müssen oder Scheitern zu vermeiden, tun wir nichts. Damit verstärken wir das unerwünschte Verhalten mit jedem Aufschieben. Weder über die Vernunft noch durch gutes Zureden schaffen wir es aus dieser Spirale heraus, auch wenn der Druck und die Not zunehmen. Prokrastinieren wird zum Selbstsabotageakt, den wir zum Schutz vor vermeintlich gefährlichen Situationen vorschieben. 

Um dem Auslöser auf den Grund zu gehen, ist es essenziell, das eigene Vermeidungsverhalten zu erforschen. Worin fühlst du dich schlecht? Woran scheiterst du? Es braucht diese Ursachenforschung, diesen Sprung zurück zur Verwundung. Denn nur am Ursprung kannst du an der Urverletzung arbeiten und eine Veränderung auslösen.

Meine bisherigen Erfahrungen mit Klienten zu diesem Thema haben gezeigt, dass es für sie nicht möglich war, sich selbst die notwendige Struktur zu geben. Trotz stetigen Übens und ausgefeilten To-do-Listen gelang es keinem von ihnen, eine langfristig funktionierende Bewältigungsstrategie zu entwickeln. Die Versagensängste waren zu stark. Ich gehe daher davon aus, dass die gängigen Übungen für traumatisierte Menschen nicht hilfreich sind. Das unerwünschte Aufschiebeverhalten konnten meine Klienten erst überwinden, nachdem sie die traumatischen Erlebnisse verarbeitet hatten.

Möchtest du professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und mit mir zusammen auf Ursachenforschung gehen? Dann melde dich für ein Erstgespräch bei mir.