Die Macht der Kränkung

Kränkung ist die psychische Verletzung eines Menschen: seiner Werte, seiner Gefühle oder seiner Ehre. Deshalb empfindet sie jeder von uns individuell. Eine kränkende Handlung oder Äusserung erschüttert unser Weltbild, verletzt unseren Selbstwert oder Gerechtigkeitssinn. Eine Kränkung ist ein zwischenmenschliches Problem, ein urmenschlicher Prozess, der beim Gekränkten tiefe Spuren hinterlassen kann. Der Psychologe Reinhard Haller erkennt in der Kränkung das «Urmotiv des Urverbrechens» und beobachtet sie immer wieder als Auslöser für Verbrechen und Kriege. Dies erstaunt nicht, gelten doch Demütigung und die totale Erniedrigung als massivste Formen von Kränkung.

So zeigt sich die Kränkung

Kränkung hat einen destruktiven, negativen und aggressiven Charakter. Sie verletzt uns im Innersten. Sie trifft eine sensible Stelle und bohrt in einer offenen Wunde. Unsere Überzeugungen und unsere Selbstachtung werden bei diesem Vorgang destabilisiert. Als Kränkung nehmen wir die Beleidigung unseres Gerechtigkeitssinns wahr, beispielsweise in einem Erbfall, wo wir uns unfair berücksichtigt fühlen. Auch das verletzende Gefühl bei einer aus unserer Sicht ungerechtfertigten Note oder Bewertung bedeutet eine Kränkung für unsere Seele.

Kränkungen treten in allen zwischenmenschlichen Beziehungen auf

Häufig entstehen Kränkungen in einseitigen Liebessituationen: Liebesentzug, Liebesvorenthaltung oder Liebeskummer. Alles dreht sich um die Angst, nicht geliebt zu werden. Auch eine fehlende positive Resonanz kann als Kränkung empfunden werden, zum Beispiel wenn wir «nur» gemocht, aber nicht geliebt werden. Kränkende Handlungen erfahren und begehen Menschen während Beziehungskrisen. Diese führen zuweilen zu einem Rosenkrieg, worin sich Ex-Partner in einem zermürbenden Trennungskonflikt festbeissen. 

Nicht immer ist sich der Kränkende seiner Kränkung bewusst. Eine beleidigende Aussage, ein Augenrollen oder ein schief ansehen kann genügen, um beim Gegenüber ein Gefühl von Abwertung zu erzeugen. Auch die Nichtbeachtung, das Schweigen in einer wichtigen Situation oder das Ignorieren einer besonderen Leistung kann als kränkend empfunden werden. 

Im Arbeitsleben treten Kränkungen auf, wenn sich bei einer Beförderung jemand übergangen fühlt oder vergeblich auf ein Lob für ein gelungenes Projekt hofft. Der gekränkte Mensch fühlt sich abgewertet. Je nach Ausmass der Kränkung und Persönlichkeitsentwicklung des Gekränkten besteht die Gefahr von Rachegedanken oder einer innerlichen Kündigung. 

Kränkungen entstehen auch durch Verleumdung, Blossstellung und Ausgrenzung (Mobbing). Wird hinter vorgehaltener Hand über jemanden getuschelt oder eine für jemanden wichtige Angelegenheit im Team verschwiegen, kann dies zu einem belasteten Arbeitsklima führen. Es gibt auch Menschen, die bewusst Gerüchte oder falsche Informationen über jemanden in Umlauf bringen, um seinen Ruf zu schädigen. Ein Rufschädigung oder ein Rufmord kann beim Betroffenen tiefe Wunden aufreissen und einen Gegenangriff auslösen. 

Kränkung macht uns krank

Wer ein stabiles Selbstwertgefühl behalten möchte, sollte Kränkungen stets aufarbeiten. Diese Überzeugung teile ich mit Dr. med. Reinhard Haller. Eine nicht verarbeite Kränkung kann zu Angstzuständen führen, eine Neurose oder Depression verursachen. Auch Suchterkrankungen und Selbsthass sind bekannte Folgen von ungelösten Kränkungen. Diese Gesundheitsstörungen wurzeln in der tiefsitzenden Überzeugung, nicht geliebt zu werden.

So verarbeitest du deine Kränkungen

Eine Kränkung kann eine enorme Wirkung entfalten. Sie ist ein gärender Prozess, der sich über viele Jahre hinziehen und dabei eine explosive Kraft aufbauen kann. Daher empfehle ich: Wachse an deinen Verletzungen und stärke deinen Selbstwert mit der Aufarbeitung. Lass es nicht zu einer Explosion kommen!

Eine Kränkung verliert ihren Schrecken, wenn ich sie anspreche, transparent mache, ihr ein Gesicht gebe. So erkenne ich meine Empfindlichkeit und lerne, meine wunden Punkte anzunehmen. Ich kann eine Kränkung nüchtern und emotionslos erforschen: Gibt es etwas Wahrens daran? Auch ein Perspektivenwechsel kann zu Selbsterkenntnis führen. Wichtig ist es, dass ich meine eigene Gefühlswelt kenne, damit ich Einfühlungsvermögen und Empathie gegenüber meinen Mitmenschen entwickeln und mich situationsangemessen verhalten kann.

Ich bin für dich da

Sollten die aufgelisteten Massnahmen bei dir nicht zu tiefgreifender Veränderung führen, bin ich gerne bereit, mit dir zusammen in diese Thematik einzutauchen.

Literatur: Wer tiefer ins Thema eintauchen möchten, dem empfehle ich das Buch «Die Macht der Kränkung» von Reinhard Haller.