Psychische Gewalt

Wenn die Nerven blank liegen, kann es zu Gewalttaten kommen. In der Schweiz erleidet jedes vierte Kind physische oder psychische Gewalt durch seine Eltern, wie diese Studie von Kinderschutz Schweiz  erhoben hat. Aber auch in Partnerschaften und zwischen Geschwistern kann es zu Gewaltanwendung kommen.

Im Vergleich zur körperlichen Gewalt hinterlassen die verbalen Schläge keine äusserlich sichtbaren Spuren. Beschimpfungen und Drohungen zeigen sich nicht durch blaue Flecken, sondern als Wunden auf der Seele. Oft geschieht die gewaltsame Kommunikation unbeabsichtigt und für Aussenstehende unbemerkt, denn psychische Gewaltformen sind subtil. 

Wenn Eltern ihre Kinder seelisch verletzen

Wird einem Kind von seinen Eltern mentale Gewalt angetan, wiederholen sich die schädlichen Interaktionen oftmals über viele Jahre hinweg. Wenn das Kind als wertlos, ungeliebt oder ungewollt bezeichnet wird, entstehen seelische Verletzungen. Oder dem Kind wird gedroht, es werde nur dann geliebt, wenn es die Wünsche von anderen erfülle, z. B. das mache, was Mama oder Papa wollen.

Besonders häufig tritt psychische Gewalt in Form von verbaler Gewalt auf. Wortschläge wie «Kapierst du das denn nie?» oder «Ich wünschte, du wärst nie geboren worden.» demütigen die kindliche Psyche. Einige Eltern drohen ihrem Kind mit Liebesentzug, lehnen es ab, machen ihm Angst oder stellen es bloss. Doch auch nonverbale Kommunikation kann verletzen. Eine abwertende Handbewegung, ein Augenverdrehen oder das Herausstrecken der Zunge sind Gesten mit zerstörerischer Kraft.

Die soziale Isolation wie Wegsperrung oder Hausarrest ist ein bekanntes Druckmittel von Eltern, um ihr Kind zu bestrafen. Auch Verachtung, Zurückweisung, Beschimpfung, Einschüchterung, Schweigen und die Nichtbeachtung von emotionalen und körperlichen Bedürfnissen sind Formen der psychischen Gewalt. Eine weitere Erscheinungsform ist die passive Vernachlässigung, z. B. fehlende Fürsorge und Betreuung, unzureichende Ernährung, zu wenig Pflege oder Förderung.

Verhaltensmuster bei Kindern, die mit Worten geschlagen werden

Wiederholte Zurecht- und Zurückweisungen können Schlafstörungen oder zwanghaftes Verhalten bei einem Kind auslösen. Wird ein Kind immer wieder beschimpft und bedroht, kann dies zu Selbstverurteilung, Selbstzerstörung oder Selbstverletzung führen. Viele betroffene Kinder ziehen sich zurück, werden scheu und unfähig, sich auf Beziehungen einzulassen. Sie lassen Kontakte abbrechen und machen sich «unsichtbar». Während sich einige mit Suizidgedanken beschäftigen, an depressiver Stimmung oder aggressiver Unruhe leiden, wird bei anderen Leistungsschwierigkeiten, Hypervigilanz (erhöhte Wachsamkeit) oder fehlende emotionale Fähigkeiten/ Kompetenzen beobachtet. 

Ursachen und Gründe für die Anwendung von psychischer Gewalt

In der oben genannten Studie hat man die Risikofaktoren ermittelt, welche psychische Gewalt begünstigen. Dies kann die fehlende finanzielle oder emotionale Stabilität sein, die bei Eltern Druck erzeugt, welcher beim Kind abgelassen wird. Auch gesundheitliche Probleme wie Suchterkrankungen oder Psychosen eines Elternteils können zu Aggressionen in der Familie führen. Eine erhöhte Gewaltbereitschaft wurde auch bei Eltern in wirtschaftlicher Unsicherheit festgestellt, z. B. bei drohendem Verlust des Arbeitsplatzes.  

Hier ein trauriges Beispiel aus dem Alltag: Vor einigen Wochen war ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Dort beobachtete ich eine Mutter mit ihrer ca. 4-jährigen Tochter. Ich hörte, wie die Mutter ihrem Kind mit der Polizei gedroht hat, weil das Kind nicht folgen wollte. 

Was passiert in Kindern, die psychische Gewalt erleben?

Das Leiden hinterlässt tiefe Spuren auf Seelenebene. Wiederholte Angriffe untergraben die emotionale Sicherheit des Kindes und zerstören sein Selbstbewusstsein. Wegen der fehlenden Sicherheit kann das Kind Angstzustände oder Panikanfälle erleiden. Es fehlt ihm die Fähigkeit, seine Gefühle zu regulieren. Wenn andere Menschen als Bedrohung erlebt werden, ist der Mensch nicht mehr fähig, tragfähige Beziehungen aufzubauen. Fragen nach dem Sinn des Daseins tauchen auf. Wozu bin ich auf dieser Welt?

Werde dir deiner Gefühle bewusst

Wenn du zu gewalttätigem Verhalten neigst, ist es wichtig, dir das entsprechende Bewusstsein zu erarbeiten. Beobachte dein Verhalten und übe immer wieder, angemessen auf eine Situation zu reagieren. Reflektiere deine Gefühle. Suche Entlastungsmöglichkeiten, die zu Stressreduktion führen. Empfehlenswert ist auch der Austausch mit anderen Eltern bezüglich ihres Umgangs mit ihren Kindern, um ein grösseres Bewusstsein und Verständnis zu erlangen. Durchschaue die Muster in deinem Familiensystem und ändere sie.

Wie ich Betroffene unterstütze 

Opfern von psychischer Gewalt fehlt das Gefühl von Sicherheit. Als vertrauensbildende Massnahme stelle ich ihnen deshalb einen sicheren Raum zur Verfügung. Hier kann, womöglich zum ersten Mal, das Gefühl von relativer Sicherheit entstehen. Danach beschäftigen wir uns mit den Auswirkungen, die sich omnipräsent im Alltag äussern. 

Aufklärungsarbeit ist mir sehr wichtig, da der Mensch, der als Kind Gewalt in seiner Familie erlebt hat, in der Regel keine Vergleichsmöglichkeiten mit den Verhaltensmustern in anderen Familien hat. Ich erkläre, was psychische Gewalt beinhaltet und dass sie nicht normal ist. Ich weise auf das Zerstörerische hin und schaffe damit ein verändertes Bewusstsein beim Klienten. 

Psychische Gewalt ist in der Regel traumatisch, sie hinterlässt Spuren in der Hirnstruktur. Diese Spuren, welche tief im Zellgedächtnis des Klienten verankert sind, verändern wir und integrieren sie Schritt für Schritt. So können alte Muster losgelassen werden. Das Hirn kann neue Synapsen bilden und Verbindungen schaffen. Die ursprünglich breiten «Autobahnen» werden kleiner und der Klient hat die Möglichkeit, eine der nächsten Ausfahrten zu nehmen.

Möchtest du über deine traumatischen Erlebnisse in der Kindheit sprechen oder suchst du Hilfe, um deine Gefühle zu regulieren? Dann vereinbare als ersten Schritt einen Termin für ein Erstgespräch. 

Filmempfehlung: Beim Leben meiner Schwester.

Dieser Film greift einige brisanteThemen auf.
Für mich war er teilweise heftig. Also nur für starke Nerven geeignet.