Die rote Linie ist überschritten

Stärke hat auch damit zu tun seine (eigenen) Grenzen nicht zu verletzen

Immer wieder mache ich die Erfahrung, wenn jemand früh in seinem Leben wiederholte Grenzüberschreitungen in Form von seelischer Gewalt, körperlicher Gewalt, psychischer Gewalt, Misshandlungen, emotionalem Missbrauch, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch erlebte, kein Gefühl mehr für persönliche Grenzen hat. Diese Menschen sind sozusagen Grenzenlos. Sie sind mit der Aufmerksamkeit ganz weit aussen, damit sie bei drohender Gefahr allenfalls (noch) reagieren können. Sie scannen fortwährend unbewusst das Umfeld ab. Aus welcher Ecke droht Gefahr. Auf der Lauer, angespannt und äusserst Aufmerksam wie ein wildes Tier. Ständig, ebenfalls unbewusst, weil es über die Jahre normal geworden ist, leben diese Menschen in einer gewissen Anspannung. Das macht müde und erschöpft den Körper. Sie wirken gestresst und gehetzt.

Menschenansammlungen sind beinahe unmöglich oder nur im «Tunnel», weil es zu massiven Reizüberflutungen kommt. Da draussen ist pure Bedrohung. Diese Menschen sind nicht bei sich. Dadurch werden sie angreifbar und es kann zu erneuten Grenzüberschreitungen kommen. Das kann verbal sein indem uns jemand hinterher pfeift, einem zweideutigen Unterton in der Stimme hat oder uns  süffisant anlächelt. Nonverbal mit einem anzüglichen Blick oder einem «verschlingen» mit den Augen. In jedem Fall ist es ein aufdringliches Verhalten ohne Einwilligung des Gegenübers.

Die rote Linie ist längst überschritten

Oft entsteht ein Gefühl von Angst, Panik und Ohnmacht. Es reicht, kommt in diesem Zustand nicht mehr über die Lippen. Flüchten geht nicht. Wir sind in der Falle, gefangen. Grenzen setzen indem du Nein oder Stopp sagst ist schwierig, obwohl du vielleicht merkst das es reicht. Die Stimme versagt, die Sprache ist weg und der Atem stockt. Teilweise werden Überschreitungen erst bewusst, wenn sie schon passiert sind. Manchmal erstarren wir und können nicht reagieren auch wenn wir möchten.

Ich selber habe gelernt, je mehr ich bei mir selber bin und mit der Aufmerksamkeit bei mir bleibe, desto sicherer bin ich. Ich spüre mich viel besser und kann dadurch eher auf Grenzüberschreitungen reagieren. Je weiter aussen ich mit meiner Aufmerksamkeit bin, desto verletzlicher werde ich. Dieses Verhalten hat damals in der bedrohlichen Situation geholfen.